Stellungnahme von Christian Stadler, 1. Vorsitzender Architekturforum Dachau (Stand 28.03.2009)
Rund ein Jahr nach dem städtebaulichen Ideenwettbewerb für das Gelände der Papierfabrik („Papierviertel“) hat im Herbst 2008 der MD Myllykoski-Konzern ein Einzelhandelsgutachten vorgelegt. Darin wird abweichend vom Wettbewerbsprogramm und -ergebnis ein Einzelhandelszentrum an der Ludwig-Thoma-Straße vorgeschlagen. Gemäß diesem Gutachten würde die Einzelhandelsfläche um ca. 10.000 m2 Verkaufsfläche erheblich ausgeweitet. Das Warensortiment soll bisher abfließende Kaufkraft in Dachau halten und zusätzliche Kunden von außerhalb binden. Das klingt verlockend, dennoch müssen die tatsächlichen Folgen und ihre Vor- und Nachteile sorgfältig überlegt werden.
Die Arbeitsgruppe Papierviertel im architekturforum dachau stellt dazu diese grundsätzlichen Betrachtungen aus der Sicht von Stadtplanung und Architektur vor. Dabei wird der analytische Teil des Gutachtens zunächst als fachlich zutreffend unterstellt. Darüber hinaus wird aber die alleinige Zuspitzung auf den Standort Papierviertel ohne vorher weitere, alternative Lösungsansätze und Standorte für die Dachauer Einzelhandelsentwicklung zumindest geprüft zu haben, als Defizit des Gutachtens und sehr kritisch angesehen.
Es liegt die Versuchung nahe, das zentral gelegene Papierviertel als größere Einzelhandelsentwicklung zu vermarkten, noch bevor dort Wohnen und Arbeiten oder öffentliche Nutzungen angesiedelt werden können. Das liegt möglicherweise daran, dass derzeit Wohnungen und Gewerbeflächen generell schlechter zu vermarkten sind. Die Entwicklung der Immobilienmärkte in der Folge der Finanzmarktkrise ist derzeit noch nicht absehbar und darf auch nicht der Gradmesser der städtebaulichen Entwicklung in Dachau werden.
Mit jedem Investitionspotential muss grundsätzlich sehr sorgsam umgegangen werden. Die Stadt Dachau sollte ihre Entwicklungschancen im Einzelhandel zur (Wieder-) Belebung der Altstadt und zur Stärkung wertvoller Strukturen in der Unteren Stadt bis zum Bahnhof hin nutzen. Sie muss sorgfältig steuern, damit nicht in der Altstadt und in der unteren Stadt (noch mehr) Ladenflächen leer stehen. In der Folge müsste mit städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen mühevoll und mit hohem Aufwand den schädlichen Auswirkungen einer überstürzten Entscheidung entgegengewirkt werden.
Bevor die Stadt eine Entscheidung auf der Grundlage des vorliegenden Gutachtens zugunsten des Standortes Papierviertel für eine zentrale Einzelhandelsentwicklung trifft, sollten auch alternative und dezentrale Standortkonzepte geprüft werden. Es besteht ein erhebliches und bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Potential zur Weiterentwicklung in den vorhandenen und geschichtlich gewachsenen Baustrukturen der Dachauer Innenstadt.
Hier geht es um Stabilisierung, Erneuerung und Nachverdichtung, denen der wirtschaftliche Boden nach den Fehlentwicklungen der neunziger Jahre Einzelhandel Schwarzer Graben bzw. Gewerbegebiet Münchner Straße) nicht weiter entzogen werden darf, indem die gesamte mögliche Entwicklung eventuell nur an einem Standort konzentriert wird. Selbst für eine maßvolle Konzentration der Einzelhandelsentwicklung gibt es durchaus Alternativen an Standorten wie der Thomawiese oder dem Wiesböck-Grundstück. Nur hingewiesen sei auf die drängenden Fragen des motorisierten Individualverkehrs oder des öffentlichen Verkehrs in und um Dachau, die gleichzeitig und zusammen mit einer Verbesserung der Aufenthaltsqualität der öffentlichen Räume gelöst werden sollen.
Es stellt sich die Frage, ob die Auslobung des Wettbewerbs für das MD-Gelände nach nur zwei Jahren inhaltlich überholt ist oder überholt wird. Es besteht ein Zielkonflikt, da gemäß Gutachten der Einzelhandel dort situiert werden müsste, wo auch die kulturellen Einrichtungen richtig platziert sind. Eine Einkaufs-Mall (vergleichbar in München MIRA, OEZ, RiemArcaden) löst enormen Verkehr aus, ist nur innen und zu den Ladenöffnungszeiten belebt. Nach außen wirken diese Malls abweisend und sind hinsichtlich Anlieferung sehr konfliktträchtig und störend. Eine Einzelhandelsentwicklung gemäß dem Gutachten auf dem Papierviertel führt dazu, dass der siegreiche Wettbewerbsplan in seiner Substanz so sehr betroffen ist, dass er unter einer neuen Programmstellung völlig überarbeitet werden müsste.
In einem ideellen Sinne könnte über das , ich sage mal „Papier-Viertel“, ein Prozess der Identitätsfindung für Dachau beginnen, in dem sich aus Heimatgeschichte, Kunstgeschichte, Zeitgeschichte und neuen Foren ein spezifisches Dachauer Lebensgefühl entwickelt. Das „Papier-Viertel“ wird umso interessanter und lebendiger, je mehr sich Wohnen, Kultur und Arbeit, Freizeit und Einzelhandel zusammenfinden.
Bruno Schachtner, Künstler und ehemaliger Kulturreferent der Stadt Dachau in der SZ Dachau am 30.12.2008
Haben wir Ihr Interesse geweckt mit unserer Stellungnahme zum Thema Papierviertel und Einzelhandel in Dachau? Engagieren Sie sich mit uns!