Stellungnahme des Architekturforums Dachau e.V., Projektgruppe Papierviertel, Emil Kath, Vorsitzender (Stand Juli 2015)
Das Architekturforum Dachau hat bei der Präsentation der Wettbewerbsentwürfe im Jahr 2008 das Wettbewerbsergebnis sehr positiv gesehen. Nach sieben Jahren ist zu hinterfragen, ob die damals zugrunde gelegten Aufgabenstellungen heute noch gelten oder ob sie aufgrund der Entwicklung der Stadt Dachau im öffentlichen Interesse nachjustiert werden sollten. Mit diesem Beitrag, der zwölf Aspekte besonders hervorhebt, möchten wir Bürgern und Entscheidungsträgern in Dachau unsere Anregungen aus fachlicher Sicht vorlegen.
Die Altlastenbeseitigung im Zuge der Konversion des Industriegebiets und deren Abschluss vor Beginn der Erstellung der neuen Bebauung hat zu Recht Vorrang. Die vollständige Altlastenbeseitigung vor dem Inkrafttreten des Bebauungsplans vertraglich abzusichern, ist deshalb unbedingt richtig. Einzelne, altlastenfreie Flächen dürfen keinesfalls vorgezogen bebaut werden, damit Problemflächen nicht einer ungewissen Zukunft überlassen werden. Der Eigentümer darf wegen der erheblichen Kosten der Beseitigung und Entsorgung der Altlasten keinen Anspruch auf eine zusätzliche Wertsteigerung der Flächen durch höheres Baurecht erheben. Das Maß der Bebauung darf allein aus dem öffentlichen Interesse und über die Planung und deren städtebauliche Begründung festgelegt werden.
Die Altlastenbeseitigung ist immer noch in der Planungsphase. Der bis zur Durchführung und zum Abschluss der Altlastenbeseitigung noch nötige Zeitraum ist ausreichend um auch noch grundsätzliche Modifizierungen der Planung vorzunehmen.
Eine gewerbliche Zwischennutzung ist denkbar und grundsätzlich zu befürworten, wird aber durch die Schadstoffe in den Gebäuden und den inzwischen teilweise schon sehr schlechten Erhaltungszustand erschwert. Weiternutzungen sind aber möglich, wenn ein großer Teil der Schadstoffe in den Bauteilen vor dem Abriss gesondert ausgebaut und entsorgt werden muss und wie bei der Kalanda-Halle der Baugrund unter den Gebäuden frei von Altlasten ist.
Das Erschließungssystem des Wettbewerbsentwurfs wurde grundsätzlich beibehalten und verbessert. Eine höhengleiche Anbindung der Fuß- und Radwege zum Bahnhof Dachau Stadt über eine nach der aktuellen Planung abgesenkte Freisinger Straße halten wir für unverzichtbar und einen großen Fortschritt. Die Erschliessung der hinzugekommenen Mayr-Terrassen ist als noch ungelöst zu beurteilen.
Der künftigen Entwicklung der Mobilität muss durch die bevorzugte Berücksichtigung und Förderung effizienter und emissionsarmer Mobilitätsformen Rechnung getragen werden. Dazu gehören insbesondere kurze Fußwege zu Versorgungseinrichtungen und Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs, die Verknüpfung der Haltestellen mit dem Liniennetz und Angebotserweiterungen beim Netz und den Betriebszeiten.
In Dachau wird die bereits sehr verbreitete Nutzung von Fahrrädern und E-Bikes im innerörtlichen Verkehr noch weiter zunehmende Bedeutung erhalten. Entsprechend muss in einem innovativen Stadtquartier diese Nutzung durch im Bebauungsplan festgesetzte, leicht verfügbare, oberirdische, aber auch in die Bebauung gut integrierte Unterbringung der Fahrräder erleichtert und gefördert werden. Alternativ kann dies auch durch eine entsprechende Satzung für das gesamte Stadtgebiet geschehen.
Die starke Verdichtung der Bebauung erfordert die überwiegende Unterbringung der PKW in Tiefgaragen. Das hat zwar zur Folge, dass ein großer Teil der Freiflächen untergraben und versiegelt wird. Die Freihaltung ist aber für eine hohe Freiraum- und Aufenthaltsqualität unverzichtbar.
Damit Besucherparkplätze ihren Zweck erfüllen können, sollte geregelt werden, dass diese nicht durch Dauerparker oder Anwohner zweckentfremdet werden. Alternativ sollte geprüft werden, ob Parkhäuser, die auch für Besucher zugänglich sein können, im Bereich des Mischgebietes entlang der Bahnlinie die Parksituation entlasten können und in ökologisch sinnvoller Weise die Versiegelung und die Kosten der Unterbauungen reduzieren.
Die inzwischen geplante unterirdische Anlieferung des Mühlenforums kann das Viertel an dieser Stelle erheblich entlasten. Sie ist in verdichteten Quartieren inzwischen auch allgemein erprobt und bewährt.
Insbesondere die öffentlichen Grün- und Freiräume erhöhen die Attraktivität und die Lebensqualität in den Baugevierten und garantieren zudem einen dauerhaften Immobilienwert. Entscheidend für die Qualität des gesamten Baugebiets und eine erhebliche Aufwertung der Dachauer Innenstadt sind deshalb die im Entwurf angelegten großflächigen, zusammenhängenden und auch über die Grenzen des Gebiets hinweg vernetzten Grünräume.
Allerdings muss der durch die Tieflage der Amper sehr erschwerte Bezug zum Fluss noch erheblich aufgewertet werden. Es besteht immer noch die einmalige Chance, hier den Abstand der Bebauung von der Uferböschung zu erweitern, Ausgleichsflächen zu schaffen und damit dem verbreiteten Wunsch auch nach naturnahen Gestaltungen durch eine entsprechende Geländemodellierung unmittelbar am Flusslauf zu entsprechen. Die Idee das Mühlenforum mit einer städtisch geprägten Aufweitung des Mühlbaches zu gestalten ist der urbanen Situation und der dort erwünschten vielfältigen und intensiven Nutzungen angemessen. Eine Renaturierung wäre nicht angemessen. Ihr steht auch entgegen, dass der Mühlbach seinen Charakter als technisches und damit künstliches Bauwerk bewahren sollte.
Die Grünzüge sollen sehr zurückhaltend für Freizeitaktivitäten ausgestattet werden, den Charakter grüner Oasen haben und in ökologischer Hinsicht eine Biotopvernetzung ermöglichen.
Wohn- und Arbeitshöfe sollten mit geeigneten Festsetzungen als Freiräume durchlässig und zusammenhängend gestalten werden können und Innenhöfe nicht mit störenden Einzäunungen an eventuellen künftigen Parzellengrenzen zergliedert werden.
Dachau plant vollkommen richtig ein verdichtetes Wohngebiet für ca. 2.000 Einwohner, die innerstädtisch, altstadtnah, bequem und auf kurzen Wegen zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, zum Arzt oder ins Wirtshaus kommen können. Dies ergibt einen Ausgleich im Hinblick auf die kommende Baugebiete, die in den noch unbebauten Randlagen der Stadt entstehen werden. Die konzentrierte Entwicklung fördert eine kompakte und damit im Betrieb wirtschaftliche Stadtstruktur. Sie erfordert auch innovative Haustypologien und Wohnungsgrundrisse, die der freie Immobilienmarkt nicht ohne weiteres anbieten wird. Neue Einwohner bewirken nicht nur Folgelasten. Die Zuwanderung insbesondere junger Menschen mit Kindern kann auch drohende Nachteile der demographischen Entwicklung wie z.B. eine starke Überalterung ausgleichen und auf diese Weise Kontinuität im Bedarf und in der Auslastung der öffentlichen Infrastruktur gewährleisten. Diese Mitbürger brauchen wie andere einkommensschwächere Gruppen Modelle, die zu bezahlbarem Wohnraum führen.
Ebenso muss an die generelle Alterung der Gesellschaft und den daraus wachsenden Bedarf an neuen, barrierearmen und barrierefreien Wohnungen gedacht werden. Hier kann mit der Sozialgerechten Bodennutzung, genannt SoBoN, wie sie seit ca. zwanzig Jahren in München mit großem Erfolg und Nutzen für alle Seiten praktiziert wird, zugleich der städtische Haushalt nachhaltig entlastet werden.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen liegt aus verschiedenen Gründen im öffentlichen Interesse der Stadt Dachau und ist unverzichtbar für die Stadtentwicklung. Die vorgesehenen Mischund Kerngebiete entlang der Bahnlinie sind richtig positioniert und haben auf Grund ihrer zentralen Lage auch eine sehr gute wirtschaftliche Perspektive.
Die Verträglichkeit der anzusiedelnden Unternehmen mit der Nachbarschaft muss aber bei der Auswahl gegebenenfalls Vorrang haben. Die Stadt sollte deshalb prüfen, ob sie mit eigenen Betrieben und Gesellschaften die Entwicklung selbst übernimmt, fördert und betreibt. Nach dem Vorbild der Stadt Freiburg könnten Technologie- und branchenorientierte Cluster und Kompetenzfelder profilbildende Alleinstellungsmerkmale werden, die der nationalen und internationalen Positionierung dienen. Konzentration von Institutionen und Informationsaustausch z.B. für Bio-Technik sind dabei Motor der technologischen, wirtschaftlichen und touristischen Entwicklung. Eine vorgezogene Bebauung dieser Zonen zum Schutz
Eine vorgezogene Bebauung dieser Zonen zum Schutz der Wohnbebauung und der Freibereiche vor Lärm ist dabei zwingend und kann bei oben beschriebenem Verfahren auch garantiert werden.
Die Versorgungseinrichtungen sind im Grundsatz funktionell richtig platziert und nach Lage und Größe mit max. 10.000 qm Verkaufsfläche geeignet, das Angebot der Altstadt zu ergänzen.
Zusätzlich sollte mit Festsetzungen gezielt dafür gesorgt werden, dass auch im Wohnviertel die dafür prädestinierten Stellen an stärker frequentierten Ecken mit einzelnen Ladenlokalen, Ateliers oder Kanzleien belebt und zum öffentlichen Raum geöffnet werden. Dabei geht es um Lagen, die für Wohnungen sowieso wenig geeignet sind.
Die geplanten Kultureinrichtungen in den denkmalgeschützten Gebäuden am Mühlenforum können die alten Bauwerke mit neuem Leben füllen. Sie ergänzen das kulturelle Angebot der Altstadt. Jedoch bestehen erhebliche Zweifel, ob sich die Jugendkultur am geplanten, Standort des Hauptzugangs in das Quartier tatsächlich so frei entfalten darf, wie es sich die Jugendlichen wünschen und vorstellen.
Eine Alternative für die Jugendkultur wäre der Bereich des historischen Heizkraftwerks, wenn es erhalten und umgenutzt werden sollte. (s. u.).
Das einzigartige Bild mit den drei Kaminen auf dem kubisch markanten, etwas spröden Industriebauwerk des ehemaligen Heizkraftwerks dient schon bisher am häufigsten als Aufmacher für Ankündigungen und Veröffentlichungen zum MD-Gelände. Es verleiht dem Gebiet schon immer und wenn man will auch in der Zukunft eigene Identität. Das Kraftwerk ist das herausragende Bauwerk im Quartier und in der Dachauer Stadtsilhouette. Das neue Gebiet hat sein Hochhaus bereits und benötigt eigentlich kein anderes mehr. Das weithin sichtbare Symbol der rund 150-jährigen industriellen Geschichte Dachaus sollte nicht unbedacht verloren gehen.
Deshalb wird vorgeschlagen, das Heizkraftwerk nicht abzureißen, wenn wie sowieso vorgesehen und erforderlich, die schadstoffbelasteten Einbauten und Oberflächen gesondert und getrennt abgetragen und entsorgt worden sind. Unter Federführung der Stadtplaner und Entwurfsverfasser soll geprüft werden, wie das Heizkraftwerk in den städtebaulichen Entwurf integriert werden kann. Als Nutzungen sind vielfältige und gemischte kommerzielle und nicht kommerzielle Angebote insbesondere für Freizeit, Sport und Kultur denkbar, für die die lichtdurchfluteten und luftigen Hallenräume ein attraktives Alleinstellungsmerkmal in der Region darstellen können. Als erfolgreiche Beispiele für Umnutzungen können zahlreiche Beispiel genannt werden: Wasserwerk in Hamburg, Gasometer in Oberhausen oder Möbelhaus KARE in München-Sendling.
Die Gebäudehöhen im vorliegenden Entwurf sind dem Standort angemessen, die höheren Gebäude sind an den richtigen Stellen platziert. Sie begrenzen und definieren die Straßenund Freiräume und geben Identifikation und Orientierung. So entsteht eine vielfältig differenzierte Stadtstruktur.
Noch höhere Akzente sind in diesem städtebaulichen Bereich nicht notwendig, insbesondere wenn das Heizkraftwerk als historisches Gebäude und Landmarke erhalten wird. Für einen eventuellen Neubau mit größerer Höhenentwicklung an anderer Stelle und zumindest für die städtebaulich wichtigen Adressen im Gebiet sollten qualifizierter und möglichst offene Architektenwettbewerbe vorausgesetzt werden.
Eine hohe architektonische Qualität der künftigen Bebauung bewirkt Akzeptanz und eine nachhaltige Wertschätzung des neuen Stadtteils. Die Umsetzung des Bebauungsplans sollte deshalb von einem fachlich kompetenten Gremium begleitet werden, in dem alle Vor- und Entwurfsplanungen vorgestellt werden müssen. Die Erfahrung der letzten Jahre bei bedeutenden Konversionen (Messestadt Riem) bestätigen die Notwendigkeit und die positive Wirkung einer gestalterischen Beratung. Die Rolle einer Beratergruppe kann auch von einem Gestaltungsbeirat übernommen werden, der für die ganze Stadt zuständig ist.
Bereits im Jahr 2009 hat sich das Architekturforum Dachau unter der Leitung seines damaligen Vorsitzenden Christian Stadler mit dem Thema Papierfabrik beschäftigt.
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